Ein orangefarbenes Ledertagebuch auf einer weißen Oberfläche.

Ich vergesse alles

Die Finger schweben über der Tastatur. Ich überlege, was ich schreiben wollte. Gerade war es doch noch da. Das ganze Thema, die ersten Sätze. Worüber wollte ich denn noch schreiben,verdammt? Vergessen.

Kennt ihr das? Steht ihr auch hin und wieder in der Küche vor dem offenen Kühlschrank und fragt euch, weshalb ihr ihn überhaupt geöffnet habt? Klar, man nimmt sich eine Cola raus, ein Stück Wurst und Käse, den übrig gebliebenen Kuchen von gestern und einen Apfel wegen des schlechten Gewissens. Aber war das der Grund um von der Couch aufzustehen?

Ich vergesse vieles. Teilweise so viel, dass ich mir schon Sorgen mache. Ich habe wichtige Ereignisse vergessen, Namen und teilweise Gesichter. Ich kann mich an vielleicht drei oder vier Klassenkameraden von früher erinnern und die Namen meiner Ex-Freundinnen bekomme ich nur durch intensives Nachdenken zusammen. Ich Schuft.

Oftmals sind es unangenehme Dinge, die ich vergessen habe. Eigentlich toll. Vermutlich lebt es sich viel glücklicher und entspannter, wenn man nicht mehr von den Dämonen der Vergangenheit verfolgt wird. Allein, sie sind noch da. Zumindest die großen. Ich sehe sie zwar nicht, aber sie kratzen an der Tür.

Leider sind es aber auch schöne Erinnerungen. Der erste Kuss. Das erste Fahrrad fahren. Glückliche und stolze Momente in meinem Leben. Auch sie wabern noch wie ein Nebel in meinem Kopf herum und manchmal meine ich in den Schwaden ein Bild ausmachen zu können. Doch dann verschwimmt alles wieder und zurück bleibt – nunja, nicht mal eine Erinnerung daran.

Ich weiß nicht mehr, wann ich zuletzt mit meinem Großvater sprach. Ich weiß nicht mehr, was ich tat, als ich zum ersten Mal alleine wohnte. Und ich schaffe es noch nicht einmal, eine vernünftige Aufzählung der Dinge zu machen, die ich vergessen habe. Weil… naja.

Es ist das Langzeitgedächtnis. Oder mein selektives Gedächtnis, denn auch Begebenheiten oder Aussagen aus der jüngeren Vergangenheit sind mir entfallen. (Was übrigens ein sehr schöner Ausdruck ist: Es ist mir entfallen. Ich stelle es mir bildlich vor.) Werde ich alt? Also so richtig alt und gebrechlich und vergesslich? Ja, ich gebe es zu, in diesem Jahr werde ich meinen 50. Geburtstag feiern. Aber es kommt mir vor wie mein 24ster. Vermutlich, weil ich 26 Jahre davon vergessen habe.

Doch dann sind da noch immer die Dinge, die man nie vergisst. „Dentagard. Sie enthält Kamille, Minze, Myrrhe und Salbei. Als Naturkräuterextrakt in den grünen Streifen.“ Warum um Gottes Willen kenne ich noch immer den genauen Wortlaut dieses bescheuerten Werbe-Bibers? Ach, dabei fällt mir ein: Genau darüber wollte ich schreiben.

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