Sascha Lobo liebt die Bahn fast so sehr wie ich

Sascha Lobo schreibt in seiner Spiegel Online Kolumne am 11.Dezember eine (nicht ganz vorbehaltlose) Liebeserklärung an die Bahn. Dem, wie er es nennt, wunderbarsten Verkehrsmittel der Welt. Und geht danach auf Kommentare zu seiner Kolumne im Debatten-Podcast ein (hier), erklärt und vertieft einige seiner Argumente.

Wenig überraschend konnte ich beim Lesen und Hören des Herrn Lobo nur zustimmend nicken. Denn mit so gut wie allem hat er Recht. Die Fakten sind gut recherchiert und seine Beobachtungen und Schlussfolgerungen treffen aus meiner Sicht ins Schwarze. Man spürt die Ehrlichkeit seiner Liebeserklärung und gleichzeitig auch den leicht bitteren Nachgeschmack, jemanden oder etwas trotz seiner Fehler zu lieben.

Persönlich kann ich das gut nachvollziehen, denn ich liebe die Bahn bis heute. Tat es schon von Kindheit an und hörte nie damit auf. Wie hier und da schon erwähnt, war ich lange Zeit selbst Lokführer bei der deutschen Bahn, fuhr Güterzüge, Regionalzüge, Intercitys und später auch ICE zwischen Basel und Frankfurt. Und ich erlebte hautnah, wie ein Unternehmen durch falsche Entscheidungen und Sparkursen nach und nach zerstört wurde.

Als ich Mitte der 90er Jahre meine Ausbildung zum Lokführer begann (und davor noch eine damals obligatorische technische Ausbildung absolviert hatte), stieg ich auf dem Höhepunkt der Umstrukturierung ein. So hatte ich beispielsweise einen möglichen Beamtenstatus nur um Monate verpasst und wurde ganz normaler Angestellter mit tariflicher Bezahlung eines zukünftigen Aktienunternehmens (das ab sofort nicht mehr Bundesbahn genannt werden durfte).

Es war pures Glück dass ich, wenige Monate nach Bestehen meiner Prüfung, dem Fernverkehr zugeteilt wurde. Eine der drei möglichen Lokführer-Gruppierungen, neben dem Regional- und Güterverkehr. Plötzlich war es einem Lokführer nicht mehr möglich, unterschiedliche Züge, Lokomotiven und Strecken zu befahren. Beim Güterverkehr fuhr man den Rest seines Lebens nur noch Güterzüge. Wurde man wie ich dem Fernverkehr zugeordnet, hatte man zumindest noch die Aussicht, Autoreise- und Nachtzüge zu bewegen und dereinst auf Intercity und ICE ausgebildet zu werden.

So kam es in meinem Falle, bis ich, im Alter von knapp 30 Jahren, den Höhepunkt erreicht hatte und regelmäßig ICE fuhr. In der ganzen Zeit wurden um uns herum Strecken stillgelegt, Verbindungen gestrichen, Personal eingespart und Schichten verlängert. Es wurden Weichen (oder nur deren Heizung) ausgebaut, Überholgleise entfernt und Lokomotiven aus den 1950er Jahren eingesetzt. Bis in die 2000er hinein bewegten wir Material, das über ein halbes Jahrhundert alt war, auf Material, das ein ganzes Jahrhundert alt war. Werkstätten und Kantinen wurden geschlossen, Betriebsstätten, Ruhe- und Pausenräume entfernt, Bahnbetriebswerke verkleinert und auch dort wichtiges Wartungs- und Reinigungspersonal entlassen oder nicht neu eingestellt.

Eines erlebte ich in der ganzen Zeit allerdings nie: dass die Bahn-Angestellten, die Kollegen, sich davon hätten unterkriegen lassen. Als eingeschworene Gemeinschaft stand man hinter der Bahn. Vom Lokführer, über die Zugführer und Schaffner, von den Disponenten, den Fahrdienstleitern und den Bahnhofsvorstehern, den Kollegen in den Speisewagen, den Rangierern, bis hin zu den Reinigern, Werkstattmitarbeiter und Ansagerinnen. Wir alle waren die Bahn. Wir alle standen aus einem bestimmten Grund morgens (mittags, Abends, Nachts, an Heiligabend und Silvester) auf. Wir motzten darüber, was aus unserer Bahn geworden war und was „die da oben“ jetzt wieder für bescheuerte Pläne geschmiedet hatten, um uns das Leben schwer zu machen. Doch jeder Bahner tat sein Bestes.

Sascha Lobo beschreibt, wie die Bahn auf den Rücken der Angestellten zerstört wurde und hat Recht damit. In meiner Laufbahn kannte ich kein Beispiel, wo ein Kollege aus Frust über die Bedingungen nicht dennoch versucht hätte, pünktlich und freundlich zu sein. Ich bin mir sicher, dass sich daran bis zum heutigen Tag auch wenig geändert hat. Und ich wünsche mir sehr, dass sich dies in Zukunft auszahlen wird. Dass die Bahn wieder den Stellenwert erhält, den sie haben sollte. Als zuverlässiges, günstiges Verkehrsmittel. Als beste Alternative zum Auto, zum Fernbus, zum Flugzeug.

Ich liebe die Bahn. Wahrscheinlich etwas vorbehaltloser als Herr Lobo. Ich freue mich auf meine nächste Zugfahrt (natürlich an Weihnachten). Und sollte dabei doch etwas schief gehen, werde ich wissen, warum das so ist. Ich werde wissen, dass viele Menschen eifrig daran arbeiten, das Problem zu beheben. Und ich werde entspannter und glücklicher ankommen, als wenn ich mich mit 300.000 anderen Wahnsinnigen auf die Autobahn gequetscht hätte.

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